In unserer „Zeit für uns“-Reihe haben wir uns mit dem den Themenblock „Feminismus“ umfassend beschäftigt und wollen euch mit diesem Artikel, der auch in der aktuellen „Anders“ zu lesen ist, gerne einen kleinen Einblick gewähren.
Woran denkt ihr, wenn ihr das Wort „Feminismus“ hört? An Alice Schwarzer, Streit um das Recht auf Verhütung und Abtreibung? An „Nein heißt Nein“? An die Frauenquote in Vorständen oder Väter in Elternzeit? An den #aufschrei, Diskussionen um Sprechgendern, an die Ausbeutung von Textilarbeiterinnen in Bangladesch? Das alles passt zu Feminismus – und noch vieles mehr.
Erst einmal: von EINEM Feminismus an sich, kann man nicht sprechen. Der Feminismus, den Alice Schwarzer vertritt, ist ein ganz anderer als der von Beyonce. Ja, Beyonce ist Feministin, trotz tiefer Ausschnitte und kurzer Röcke! Seit Jahren spricht sie über Sexismus und Gleichstellung und bei ihrer Show bei den MTV Video Music Awards 2014 flimmerte die Definition zu Feminismus von der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie über die Leinwand: „Feminist(in): Die Person, die an die politische, soziale und wirtschaftliche Gleichheit der Geschlechter glaubt.“
Demnach sind wir doch alle Feministen, oder? Auch die Schauspielerin Emma Watson gibt als UN-Botschafterin für Frauenrechte und Gesicht der „He for She“-Kampagne dem Feminismus ein weiteres Gesicht.
Feminismen sind also vielfältig, wie auch die Menschen, die ihn verfechten. Doch, so fragen sich viele, sind deren Anliegen nicht nur Einzelmeinungen, und sind diese Feminismen nicht alle überholt? – Absolut nicht:
Denn ob jemand in seiner Umgebung als Frau, als Mann oder im Hinblick auf seine Geschlechtszugehörigkeit als „uneindeutig“ wahrgenommen wird, beeinflusst nach wie vor in vielen Situationen, wie ein Mensch beurteilt wird und wie andere sich ihm gegenüber verhalten. Die Zuordnung zu einem Geschlecht beeinflusst also, wie Menschen leben und handeln, wofür und wogegen sie sich entscheiden. Und gegen diese, die individuelle Freiheit eingrenzenden Mechanismen, treten Feminismen an.
Im Gleichheitsfeminismus gehen die VertreterInnen von einer grundsätzlichen Gleichheit der Geschlechter aus und begründen die zwischen den Geschlechtern existierenden Unterschiede hauptsächlich mit gesellschaftlichen Machtstrukturen und der Sozialisation der Menschen.
Nach dieser Theorie gibt es somit kein „typisch männlich“ und „typisch weiblich“, sondern eben nur durch geschlechtsspezifische Sozialisation und Aufgabenteilung begründete Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Ziel gleichheitsfeministischer Vertreter ist daher die Aufhebung sämtlicher geschlechtsspezifischer gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten und Unterschiede, um so den Menschen zu ermöglichen, nach ihren individuellen Fähigkeiten und Vorlieben zu leben, anstatt nach gesellschaftlich vorgegebenen Geschlechterrollen.
Der herrschaftskritische Aspekt von Gleichheitsfeminismus zeigt sich vor allem auch im, für uns sehr spannenden, sozialistischen Feminismus. Dieser sieht die Ursachen der Frauenunterdrückung im Kapitalismus und dem Patriarchat und erkennt die „Frauenfrage“ als Teil der „sozialen Frage“. Eine echte Befreiung der Frauen kann es, dem sozialistischen Feminismus nach, nur durch eine Abschaffung der wirtschaftlichen Ungleichheit geben.
Im Gegensatz dazu sieht der Differenzfeminismus die Verschiedenheit der Geschlechter als bestimmende Kategorie. Weiblichkeit und weiblicher Erfahrung wird so ein besonderer Wert an sich zugeschrieben. Zur Veranschaulichung: Wer argumentiert, Frauen sollten in Führungspositionen kommen, weil sie bestimmte Verhaltensweisen haben, die dort erstrebenswert und hilfreich sind, argumentiert differenzfeministisch.
Differenz und Gleichheit sind zentrale Kategorien in der feministischen Theorie. Neben diesen Strömungen gibt es aber auch noch viele weitere, mit weiteren interessanten Aspekten: Beispielsweise sieht der dekonstruktivistische Feminismus sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht als gesellschaftliches Konstrukt an und lehnt somit Geschlecht als Klassifikationseinheit gänzlich ab. Des Weiteren gibt es auch noch anarchistische, psychoanalytische, bürgerliche und liberale Feminismen mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen und Gedanken sowie viele weitere.
Klar ist für uns, dass es nicht nur einen Feminismus gibt. Und dass dieser für uns nicht nur die „Sache mit den Frauen“ und „Männerhass“ ist, bei dem es um ein bisschen „Pornofizierung und Schönheitswahn“ geht.
Nein, es geht um eine echte Gleichstellung der Geschlechter, um Macht und Herrschaftsstrukturen, um Vorurteile und Gewohnheiten, um ungleichen Lohn und ungleiche Aufstiegschancen, es geht um Gewalt und Unterdrückung von Frauen, nicht nur in Afrika oder Südostasien, sondern auch noch in Europa im Jahr 2016.
Auf die Frage „Do we still love feminism?“ kann es daher für uns nur eine Antwort geben: „Yes, we do!“.