Der 1. Mai ist einer der Höhepunkte des sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Jahres. Auch auf den 1. Mai 2020 haben wir uns wie jedes Jahr gemeinsam mit unserem Bündnispartner*innen im Jugendbündnis über ein halbes Jahr vorbereitet und die Forderungen der politisch linken und gesell-schaftlich engagierten Jugend formuliert und waren bereit, mit ihnen auf die Straße zu gehen. Doch wie so vieles wurde auch der 1. Mai überschattet von Corona, Social Distancing und der Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Zum ersten Mal standen wir nicht Seite an Seite in einer Einheit, wie sie sich sonst selten zeigen lässt unter linken Gruppen, Verbänden und Parteien.
Corona hat die Brisanz unsere Forderungen noch betont und ihnen eine neue Aktualität gegeben. Unter dem Motto „Who cares? – we do!“ haben wir dieses Jahr unbezahlte Care-Arbeit im Privaten und die schlechte Bezahlung von Care -Berufen in den Mittelpunkt gerückt.
Frauen* wird in unserer Gesellschaft von Geburt an beigebracht, dass sie sich kümmern sollen. Sie ergreifen Pflegeberufe, arbeiten als Reinigungskräfte und erfüllen diese Aufgaben zusätzlich oder in Vollzeit unbezahlt in der Familie und im eigenem Haushalt.
Was jetzt plötzlich systemrelevant ist, hält unsere Gesellschaft schon lange am Laufen. In Zeiten der Corona-Pandemie wird es nur besonders deutlich: Zum großen Teil sind es Frauen*, die zu Hause wie in den Kitas Kinder betreuen, sie verkaufen an der Supermarktkasse das Essen, pflegen Alte und Kranke. In den letzten Wochen gab es dafür manchmal Applaus von den Balkonen und auch das eine oder andere dankende Wort von Politiker*innen. Mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen sind in den Care-Berufen aber trotzdem nicht in Sicht.
Wer in einem systemrelevanten Beruf arbeitet kann häufig nur schwer oder hat gar keine Möglichkeit diesem von zu Hause aus dem Home-Office nach zu gehen und so sich vor einem möglichen Kontakt mit Infizierten zu schützen. Vielmehr sind sie in ihrem beruflichen Alltag von Risikopatienten, Kranken, Kindern oder kurz gesagt, Menschen umgeben. Aus Solidarität, gesundem Menschenverstand und Selbstschutz war für uns klar, dass eine klassische Demo oder jede andere Form der Versammlung dieses Jahr nicht der richtige Rahmen sein kann unsere Forderungen zu präsentieren.
Unser gemeinsamer Kampf muss und darf nicht an äußeren Umständen scheitern. Wie in so vielen Bereichen im privaten wie beruflichen Alltag müssen wir auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit und Protestformen auf den digitalen Raum zurückgreifen. Deshalb haben wir uns nicht am Kornmarkt, sondern online in Live-Streams getroffen, Transparente an Balkone gehängt und waren laut in unseren Stadtteilen um zu fordern
- die Gleichstellung aller Geschlechter
- eine gesetzliche Partner*innenfreistellung vor und nach der Geburt bei voller Lohnfortzahlung
- eine flächendeckende Tarifbindung
- höchstens eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich
- die Anrechnung privater Care-Arbeit zur Rente
- eine angemessene Wertschätzung systemrelevanter Arbeiten, beginnend mit besserer Bezahlung
Aus „Der springende Punkt“ Juni 2020 – von Linda Reinke