Seit ca. 300 Tagen sind sie direkt neben Rathaus zu finden: Menschen, die sich für einen Wandel in der Klimapolitik einsetzen und ein Zeichen setzen wollen – denn so, finden sie, kann es nicht weitergehen. Ein Interview mit Florian Hienle vom Klimacamp Nürnberg geführt von Linda Reinke
Florian, du bist im Klimacamp zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und wirst mir heute einige Fragen zum Camp beantworten. Was ist denn das Klimacamp und wer seid ihr?
Das Klimacamp Nürnberg ist eine politische Dauerversammlung, wir verstehen uns als Demonstration und Mahnwache und das schon seit dem 03. September letzten Jahres. Das Klimacamp ist offen für alle, mittlerweile haben sich der Bewegung ca. 100 Menschen angeschlossen.
Euer Ziel ist es, das 1,5 Grad Limit einzuhalten. Welche Schritte müssen wir hier in Nürnberg einleiten, um das zu erreichen?
Wir wollen das 1,5 Grad Limit in den Köpfen von der Politik, sowie Bürgerinnen und Bürgern als reale Grenze, die nicht überschritten werden darf, festsetzen. Deshalb haben wir auch unseren Standort in der Innenstadt direkt neben dem Rathaus gewählt. Wir wollen, dass das Engagement für den Klimaschutz Priorität bekommt und dass Maßnahmen ergriffen werden, um das 1,5 Grad Limit einzuhalten. Zwei Große Faktoren, die für den Ausstoß von Treibhausgasen verantwortlich sind, sind der Energie- und Verkehrssektor. Genau die wollen wir in Nürnberg klimaneutral gestalten. Und das ohne Greenwashing, sondern mit 100% Ökostrom ab 2025, bestenfalls lokal produziert. Dazu fordern wir den Ausbaustopp des Frankenschnellwegs und eine autofreie Innenstadt. Die Bevorzugung des Autos in der Stadt ist in unseren Augen von gestern, jeder Mensch soll sozial gerecht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können und überall mit dem Rad hinkommen. Weitere konkrete Ziele sind Nürnberg als Zero-Waste-Stadt und veganes Essen in öffentlichen Einrichtungen.
Wie seht ihr eure Rolle in der Kommunalpolitik?
Wir geben Impulse, wie z.B. der Klimaentscheid, den wir unterstützen. Dabei wird die Stadt aufgefordert einen Maßnahmenplan in Zusammenarbeit mit Expert*innen zu erarbeiten. Wir wollen den nicht selbstschreiben, das würde unsere Kompetenzen und Kapazitäten sprengen.
Warum habt ihr euch für diese Form von Aktivismus entschieden, statt einer Partei beizutreten?
Wir sehen die Politik als Volksvertretung, unser Platz ist aber auf der Straße. Wir sind laut und wollen die Forderungen unserer Gruppierung zeigen, ohne an Parteilinien gebunden zu sein. So sind wir einerseits freier in der Wahl unserer Mittel und Botschaften, andererseits sind wir aber natürlich nicht Teil des Stadtrates und können nicht direkt Entscheidungen beeinflussen. Uns ist aber die Nähe zu Bürgerinnen und Bürgern wichtig, der tägliche Kontakt, Überzeugungsarbeit und Austausch. Wir glauben nicht, dass alle Probleme gelöst werden können, indem sich Menschen in politischen Gremien austauschen, sondern dass ein gesamtgesellschaftlicher Wandel passieren muss.
Auch Politiker*innen sind bei euch regelmäßig zu Gast, habt ihr dabei zu allen Parteien Kontakt? Oder gibt es außer dem Klima-Ziel Werte, die Ihr vertretet?
Wir haben tatsächlich zunächst zu allen Parteien Kontakt gesucht, wobei wir uns vor jedem Kontakt im Plenum austauschen. Es gibt starke Widerstände bei uns Parteien aus dem rechten Spektrum ins Camp einzuladen. Das 1,5 Grad Ziel ist unser Konsens, viele von uns setzen sich darüber hinaus aber auch für Solidarität und Gerechtigkeit ein und sprechen sich klar gegen Rassismus, rechtes Gedankengut und Ausschließen von Menschen aus. Wir sind alle von der Klima-Krise betroffen. Klima-politik muss auch sozial gerecht sein, eine „Ökodiktatur“ ist auf keinen Fall das Ziel, wir wollen alle Nürnberger*innen mitnehmen und auch international solidarisch handeln. Wenn wir schon eine Wende einleiten, wollen wir die Lebensbedingungen für alle verbessern, und nicht nur für die, die es sich leisten können.
Die Klimakrise ist in Politik und Gesellschaft angekommen, eure Forderungen gehen deutlich weiter. Viele Menschen haben Angst vor Verboten. Was glaubst du wie hier Konsens erreicht werden kann?
Aus unserer Sicht ist die Klimakrise noch nicht als das angekommen, was sie ist. Die Prioritäten anderer Menschen sehen nicht so aus, als hätten sie erkannt, dass wir uns in einer tatsächlichen Krisensituation befinden. Ohne es schön reden zu wollen, viele von uns haben Angst. Und in dieser Situation ist der Verzicht auf Flugreisen und Auto kein wirklicher Verzicht. Wir möchten, dass die Menschen die Katstrophe erkennen. Aber wir brauchen Lösungen und diese leben wir in unserem Alltag vor. Wir haben eine Radwerkstatt, legen Bienenwiesen an, pflanzen Bäume. Wir wollen weg von der Panik, hin zu den Lösungen und einem guten Leben, das klima-neutral ist.
Aufklärung kann zu einem veränderten Handeln führen, da habt ihr sicher recht. Aber wie kann ich Vorbild sein, ohne besserwisserisch zu wirken und bei anderen eine Abwehrhaltung auszulösen?
Wir haben täglich die Situation, dass Menschen sich angegriffen dadurch fühlen, dass wir einen klimafreundlichen Lebensstil leben. Ich glaube wichtig ist es dabei, sich nicht in gut und schlecht zu definieren, sondern als Menschen mit Bedürfnissen, Sorgen und Gefühlen, die es sich natürlich auch mal gut gehen lassen wollen. Wir müssen wegkommen, Leuten für ihre erlernte Art Bedürfnisse zu befriedigen Vorwürfe zu machen. Aber diesen Respekt erwarte ich auf beiden Seiten.
Gibt es noch etwas, was du der Nürnberger SPD mitgeben willst?
Ich wünsche mir, dass wir von eingespielten Mustern wegkommen und uns echt trauen neue Wege zu gehen. In einer Krisensituation darf das Ziel nicht nur sein gut dazustehen, sondern mutig zu handeln. Hört auf die Wissenschaft, wir sind zu spät dran für kleine Schritte, wir brauchen große und strukturelle Veränderungen. Wir können so nicht weitermachen.
Aus „Der springende Punkt“ Juli 2021 – von Linda Reinke